Stellt euch einmal die Stimme von David Attenborough vor, wenn ihr diesen Abschnitt lest: „Der Mensch. Ein erstaunliches Wesen. Es gedeiht in nahezu jedem Lebensraum: Stadt, Land, Wald oder Strand. Solange der Lebensraum stabil ist. Denn der Mensch mag keine Veränderungen. Das liegt am Überlebensinstinkt dieses intelligenten Wesens. Das menschliche Gehirn hat sich so entwickelt, dass es sich nach Ruhe, Stabilität und Sicherheit sehnt. Veränderungen sind für dieses Gehirn gleichbedeutend mit Gefahr.“
Als Personalverantwortliche oder Führungskraft wirst du dich zweifellos mit diesem menschlichen Verlangen nach Stabilität auseinandersetzen müssen. Unternehmen unterliegen einem ständigen Wandel und für die Mitarbeiter*innen ist dies nicht immer einfach. Auch wenn die Veränderungen oftmals positiv sind.
In diesem Artikel erläutert Psychologin Emma White genau dieses Thema: Sie erklärt, warum Veränderungen für Menschen schwierig sind, wie sich dies in Unternehmen in der Praxis äußert und was du als Personalverantwortliche oder Führungskraft tun kannst, um deine Mitarbeiter*innen bei einer betrieblichen Veränderung zu unterstützen.
5 Gründe, warum Veränderungen so schwierig sind
Veränderungen gezielt auf den Weg zu bringen, ist eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit. Wenn dir dies nicht gelingt, riskierst du, dass Mitarbeiter*innen dein Unternehmen (schnell) verlassen.
Um Veränderungen gut zu begleiten, ist es wichtig zu verstehen, warum viele Menschen Veränderungen als Herausforderung empfinden. Das trifft natürlich nicht auf jede*n Mitarbeiter*in zu. Mitarbeiter*innen mit einer wachstumsorientierten Denkweise blühen bei Veränderungen sogar auf. Doch tendenziell kann Veränderungen in vielen Fällen für Schwierigkeiten sorgen.
1. Außerhalb der Komfortzone fühlen wir uns überfordert oder ängstlich
„Unserem Gehirn liegt viel daran, uns vor Gefahren zu beschützen. Das hat die Evolution so eingerichtet“, erklärt Emma. „Außerhalb unserer Komfortzone fühlen wir ein gewisses Maß an Gefahr. Wir kennen die Situation noch nicht, wir können das Verhalten anderer nicht so gut einschätzen und deshalb wird unsere Gefahrenreaktion aktiviert.“
Wahrscheinlich kennst du das Gefühl, das diese Gefahrenreaktion auslöst: Deine Muskeln spannen sich an, du wirst nervös, du atmest flacher und du denkst ‚Ich weiß nicht, was ich tun soll‘. Emma: „Diese Reaktion zielt darauf ab, dich zurück in deine Komfortzone zu führen, wo es sicher und vertraut ist.“ Manchmal ist diese Reaktion akut, etwa während eines aufregenden Bewerbungsgesprächs, manchmal brodelt sie vor allem im Hintergrund, etwa während der ersten Wochen in einem neuen Team.
2. Wir fokussieren uns auf negative Veränderungen
„Menschen haben einen Negativitäts-Bias. Wir haben die Tendenz, uns auf die negativen Dinge in unserem Leben zu konzentrieren“, sagt Emma. Denke bitte kurz an ein schönes und an ein unangenehmes Erlebnis zurück, das du kürzlich hattest, zum Beispiel bei der Arbeit. An welches der beiden denkst du mehr?
„Bei Veränderungen geschieht dasselbe. Es gibt immer positive und negative Veränderungen in deiner Karriere. Unsere Standardreaktion ist es, uns auf das Negative zu konzentrieren, weshalb wir die positiven Veränderungen vergessen“, erklärt Emma. Dies verstärkt unser Gefühl von Unbehagen oder Angst.
3. Veränderung kostet Energie
Ein weiterer Überlebensmechanismus, mit dem uns die Evolution ausgestattet hat, ist das Bedürfnis, Energie zu sparen. „Wenn wir unser Handeln nicht bewusst reflektieren, schlagen wir unbewusst den Weg des geringsten Widerstandes ein. Wir mögen, was wir gewohnt sind. Das kostet weniger Energie“ erklärt Emma.
„Wenn sich Veränderungen ankündigen, sind wir gefordert, Dinge anders zu tun. Dies widerspricht unserem Bedürfnis, Energie zu sparen. Und unserem Bedürfnis nach Stabilität. Das kostet uns enorm viel Energie. Deshalb vermeiden wir es lieber.“
4. Wir haben Angst, zu versagen
„In meinen Beratungsgesprächen sehe ich oft Menschen, die Angst haben, zu versagen“, sagt Emma. „Diese Angst wächst angesichts von Veränderungen. Der Arbeitnehmer*innen verlässt sein sicheres Umfeld, tritt ins Unbekannte und muss plötzlich ganz anders arbeiten. Das kann für Spannung sorgen, denn vielleicht kann ich das ja gar nicht‘.“
„Limitierende Glaubenssätze spielen hierbei eine Rolle. Wir sagen uns, dass wir zu weniger in der Lage sind, als wir es tatsächlich sind. Es ist eine Form der Unsicherheit.“
5. Wir sind wenig motiviert, uns zu ändern
Hier kommen alle vier Punkte zusammen. Durch unser Gehirn, das versucht, uns vor Gefahren zu schützen, durch unseren Negativitäts-Bias, durch unser Bedürfnis, Energie zu sparen und durch unsere Versagensangst sind wir im Allgemeinen nicht besonders bestrebt, uns zu ändern. Von Ausnahmen abgesehen, natürlich.
Diese vier Effekte verstärken sich auch in vielerlei Hinsicht gegenseitig. Da wir dazu neigen, uns in unsere Komfortzone zurückzuziehen, besteht die Möglichkeit, dass wir mit den Veränderungen nicht Schritt halten können, was wiederum die Versagensangst verstärkt. Die Veränderung fühlt sich dann wie eine negative Erfahrung an, was wiederum dem Negativitäts-Bias in die Hände spielt.
Veränderungen in der Praxis: Wie wirken sie sich auf Mitarbeiter*innen aus?
Du verstehst jetzt hoffentlich, warum Veränderungen für Menschen ein schwieriges Phänomen sein können. Als Personalverantwortliche oder Führungskraft ist es nun wichtig, zu verstehen, wie sich dies in der Praxis – am Arbeitsplatz – äußert. Emma nennt uns fünf Beispiele.
Angst vor Änderung der Position innerhalb des Unternehmens
„Ich spreche mit vielen Arbeitnehmer*innen, die Angst haben, dass ihre Position weniger relevant wird, wenn Veränderungen im Unternehmen stattfinden. Sie haben Angst, dass ihnen eine andere Position zugeteilt wird oder dass sie im schlimmsten Fall ihren Job verlieren.“
Im neuen Team nicht wohl fühlen
„Eine meiner Kundinnen musste sich mit einer Umstrukturierung am Arbeitsplatz arrangieren. Sie wurde einem neuen Team in einer neuen Abteilung zugeteilt. Ihre Kollegen und Vorgesetzten haben sich wenig Mühe gegeben, sie kennenzulernen und einzuarbeiten. Es war nicht klar, welche Erwartungen das Team an sie hatte. Und auch nicht, wie die Zusammenarbeit in ihrem neuen Team geregelt war. Infolgedessen traute sie sich nicht, auf der Arbeit um Hilfe zu bitten, was sich negativ auf ihre Leistung und ihr psychisches Wohlbefinden auswirkte.“
Missverhältnis zwischen Zielen und Werten
„Veränderung steht auch in Verbindung mit den größeren Zielen, die wir in unserem Leben verfolgen. Nach einer Veränderung kann es bei Mitarbeiter*innen zu Zweifeln kommen, ob die Arbeit noch ausreichend zufriedenstellend ist. Dadurch kann ein Mangel an Sinnhaftigkeit oder Bedeutung entstehen. Dies sind sehr wichtige Elemente für eine gute psychische Gesundheit. Kunden, die damit zu kämpfen haben, haben oft das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.“
Angst, mit Veränderungen nicht Schritt halten zu können
“Arbeitnehmer*innen mit limitierenden Glaubenssätzen haben Angst, dass sie mit den Veränderungen, die ein Unternehmen durchmacht, nicht Schritt halten können. Wenn ihnen zum Beispiel neue Aufgaben zugeteilt werden oder wenn sie eine neue Arbeitsweise akzeptieren müssen, sind sie möglicherweise unsicher, ob sie damit umgehen können.”
Gefühl des Kontrollverlusts
„Eine vage Kommunikation über betriebliche Veränderungen und die damit einhergehenden veränderten Erwartungen schafft ein Gefühl des Kontrollverlusts. Menschen haben die Neigung, dies zu kompensieren. Zum Beispiel, indem sie zu hart und zu viel arbeiten. Dies sorgt für ein falsches Gefühl der Kontrolle und kostet den Mitarbeiter*innen viel Energie.“
So unterstützt du deine Mitarbeitende bei Veränderungen
Es gibt eine Reihe von Dingen, die du als Unternehmen tun kannst, um deinen Mitarbeiteinde dabei zu helfen, das Beste aus der Veränderung zu machen.
Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg
Wie bereits erwähnt, besitzen Menschen gerne Kontrolle. Kommunikation hilft dabei. „Kommuniziere rechtzeitig und deutlich, was sich für die Mitarbeiter*innen verändert, beispielsweise Teamzusammensetzungen, Verantwortlichkeiten, Gehälter und Beurteilungen“, sagt Emma. Eine einmalige Kommunikation ist bei einschneidenden Veränderungen nicht genug.
„Aufgrund des menschlichen Negativitäts-Bias solltest du dich bei der Kommunikation auf die Vorteile der Veränderung konzentrieren und ausführlich auf die Gründe für die Veränderung eingehen“, sagt Emma. „Bleib transparent. Mach die Dinge nicht schöner als sie sind. Um trotzdem dafür zu sorgen, dass die Mitarbeitenden die Veränderung als positiv empfinden, solltest du jeden negativen Punkt kompensieren, indem du dazu zwei bis drei positive Punkte erwähnst.
„Ein effektiver Weg, um Veränderungen zu kommunizieren, ist mit Hilfe eines Stufenplans. Was verändert sich in den verschiedenen Phasen? Und welche Auswirkungen auf die Funktion und die Tätigkeiten des Mitarbeitenden sind in jeder der Phasen zu erwarten?“, empfiehlt Emma. Dieser Stufenplan kann als roter Faden für deine Kommunikation dienen. So schaffst du einen Wiedererkennungswert, was dem Gefühl der Kontrolle zugutekommt.
Schaffe Bewusstsein
„Ich spreche oft mit Kund*innen, die denken, dass sie die einzigen sind, die Schwierigkeiten mit den Veränderungen in ihrem Unternehmen haben“, sagt Emma. „Aber sie sind selten allein. Es ist stressmindernd, wenn sie wissen, dass sie nicht allein sind und dass es in Ordnung ist, Schwierigkeiten zu empfinden.“ Es ist wichtig, dass man sich als Unternehmen nicht nur im Hinblick auf die praktische Seite der Veränderung offen zeigt, sondern auch im Hinblick auf die emotionale Seite.
Emma: „Mache deutlich, an wen sich Mitarbeiter*innen mit ihren Sorgen und Gedanken wenden können. Zum Beispiel an eine Führungskraft, Vertrauensperson, die Personalabteilung oder vielleicht eine eigens dafür eingerichtete Fokusgruppe. „Als Führungskraft oder Personalverantwortliche tust du gut daran, in diesen Momenten auch selbst zu erzählen, was dir schwerfällt.“ So schaffst du ein sicheres Umfeld, in dem über alles gesprochen werden kann.
Stelle Werkzeuge zur Verfügung, die dabei helfen, mit Veränderungen umzugehen
Viele Arbeitnehmer*innen besprechen ihre Sorgen oder Unsicherheiten lieber extern. Das fühlt sich sicherer und anonymer an. Oder sie möchten es gerne selbst in die Hand nehmen. Stelle deinen Mitarbeitenden daher die richtigen Werkzeuge zur Verfügung, wie zum Beispiel www.openup.com, wo viele Ressourcen und Selbsthilfemodule zu finden sind. Die Mitarbeiter*innen können außerdem Einzel- und Gruppenberatungen mit eine*m der Psycholog*innen von OpenUp buchen.
Beziehe die Mitarbeitenden so weit wie möglich in den Prozess ein
„Eine Kundin, mit der ich einige Male gesprochen habe, war sehr frustriert über den Veränderungsprozess in ihrem Unternehmen. Gleichzeitig hatte sie viele gute Ideen, wie man es besser machen könnte“, erzählt Emma. „Sie hatte das Gefühl, dass es keinen Platz für ihre Ideen gab, also behielt sie diese für sich“. Das Beispiel, das Emma hier beschreibt, veranschaulicht einen traditionellen Top-Down-Veränderungsprozess: Die Führungsebene implementiert Veränderungen ohne Beteiligung der Mitarbeiter*innen.
Emma: „Zusammen haben wir eine Lösung gefunden. Sie schlug ihrem Vorgesetzten vor, ein Forum einzurichten, in dem die Mitarbeiter*innen sich über Verbesserungsvorschläge austauschen können.“ Und so geschah es. „So hatte sie das Gefühl, mehr Kontrolle zu haben. Und Kontrolle hatte sie auch tatsächlich, denn mehrere der von ihr gesammelten Empfehlungen wurden vom Management übernommen.“
Was lehrt uns dieses Beispiel? Dass das Einbeziehen von Mitarbeiter*innen in den Veränderungsprozess mehr nützt, als schadet. „Das gilt nicht nur für dieses Beispiel. Ich glaube, dass das eigentlich immer der Fall ist“, sagt Emma. „Das Forum ist eine tolle Möglichkeit.“ Andere Möglichkeiten sind Fokusgruppen, Gremien, die Empfehlungen entwickeln, eine Ideenbox, Umfragen und Abstimmungen oder ein Referendum.
Versagen neu definieren
“Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Angst zu versagen, ein großes Hindernis für Mitarbeiter*innen“, sagt Emma. „Die Angst können wir nehmen. Zum Beispiel indem wir Versagen neu definieren.“
Im Idealfall wird Versagen innerhalb eines Unternehmens als unüberwindbarer Teil von Innovation und Wachstum angesehen. Menschen mit einer wachstumsorientierten Denkweise haben daher auch weniger Angst, zu versagen.
Wie definiert man Versagen neu? „Das kann man tatsächlich wortwörtlich machen“, sagt Emma. „Beispielsweise, indem du kommunizierst, dass ‚FAIL‘ in deinem Unternehmen für ‚first attempt at learning‘ steht.“ Aber es geht auch weniger wörtlich. „Je mehr offen über Fehler gesprochen wird, desto weniger Angst haben Mitarbeiter*innen, zu versagen. Ich finde, dass F*ck up Fridays eine tolle Möglichkeit bieten.” Die Mitarbeitenden werden dazu ermutigt, in einer wöchentlich stattfindenden Sitzung von Situationen zu erzählen, in denen sie etwas vermasselt (f*cked up) haben. Und was sie daraus gelernt haben.
Schaffe Raum, um während des Veränderungsprozesses – und übrigens auch darüber hinaus – Fehler zu machen und gemeinsam zu besprechen, wie es beim nächsten Mal besser gemacht werden kann.
Mit diesen Ratschlägen hilfst du dem wundersamen, entwickelten Wesen Mensch dabei, problemlos durch betriebliche Veränderungen zu kommen. Und um nochmal auf David Attenborough zurück zu kommen : „Mit der Hilfe seiner Mitmenschen ist der Mensch zu ungeahnten Leistungen fähig“
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